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Text von Dr. Andrea Brockmann zu dem Katalog „Hüllen”, 2016


Warum provoziert eine Schürze zum Lachen?

Das Werk „Hüllen” von Sylvie Hauptvogel im Rahmen des Festivals „Die Textile. Schmallenberg 2015”

Geblümt, mit geometrischen Mustern, kariert oder mit Rüschen verziert: die Schürze. Als die Frauen im 15. Jahrhundert mit dem Tragen von Schürzen begannen, blieb die Kleidung zunächst der Bäuerin als Standessymbol vorbehalten. Ihre Mägde mussten ihren Rock umkrempeln und hochstecken. Die Innenseite des Rocks wurde so als Fleckenschutz genutzt. Das änderte sich mit der Zeit, Arbeitsschürzen trugen alle Frauen bei der Hausarbeit. Die Schürze wurde zum Synonym für Frau - was auch den Begriff des Schürzenjägers erklärt. Die ersten Schürzen hatten die Form einer Halbschürze. Sie bestand aus Leinen und war wesentlich kürzer als der Rock. Ab dem 16. Jahrhundert wurde sie zunehmend länger und reich in Falten gelegt. Die Schürze erklomm im Barock die höheren Gesellschaftsschichten. Sie wurde zur kostbaren, reinen Zierschürze, die aus Seiden- oder Spitzenstoffen angefertigt wurde. Dazu erhielt sie oftmals einen kleinen Latz und wurde mit Volants geschmückt. Erst ab ca. 1870 verwandte man buntgewebten oder buntbedruckten Stoff. Nur selbst gefertigte Schürzen errangen hohe gesellschaftliche Anerkennung. Industriell gefertigte Waren wurden nur für berufliche, außerhäusliche Zwecke gestattet. Dabei hat sich eine florierende Industrie für die Produktion von Kleiderschürzen, Schwester- und Trachtenschürzen sowie Zier- und Kinderschürzen ausgebildet. Die Schürzen für den häuslichen Bereich sollten - gerade für die Aussteuer - von Hand gefertigt werden. So konnte auch die Tugend der Sparsamkeit demonstriert werden.

Schürzen als Thema der Textilgeschichte, Volkskunde oder Gender Studies sind wissenschaftsnah erläutert und vielfach in Ausstellungen oder Literatur dargestellt. Aber Schürzen auf der grünen Wiese? Die Künstlerin Sylvie Hauptvogel war 2015 eingeladen, sich mit einer Arbeit im Außenraum am Projekt „Die Textile - Festival für textile Kunst”, das vom 24. April bis 31. Mai 2015 im sauerländischen Schmallenberg stattfand, zu beteiligen. Zum Programm des Festivals, das zum ersten Mal ausgetragen wurde, zählten Interventionen im Stadtraum, ungewöhnliche Ausstellungen, besondere Vortragsveranstaltungen, offene Werkstätten und Ateliers sowie Performances. Ausgehend von einer Ausstellung im kunsthaus alte mühle, die unterschiedliche Ansätze und textile Positionen in der Gegenwartskunst zeigte, entfaltete sich im Festival das Bedeutungs- und Materialspektrum des Textilen: intellektuell, ironisch, handwerklich-experimentell. Im Außenraum haben fünf Künstlerinnen Projekte realisiert, darunter Sylvie Hauptvogel. Sie entschied sich, vis-à-vis des Ausstellungsgebäudes ihr Werk „Hüllen” zu positionieren: sieben mit Epoxidharz gehärtete Halbschürzen auf einer Rasenfläche am Flusslauf der Lenne. Erste Reaktionen der Flaneure, Spaziergänger und Ausstellungsbesucher: Irritation, ein Lachen, ein beliebtes Fotomotiv.

Warum provoziert eine Schürze zum Lachen? Vielleicht erwartet man so ein Stück gestreiften oder geblümten Stoff eher auf der Wäscheleine als auf einer Wiese stehend. Oder wirkt das Bild der bunten Schürze, das Klischee vom Heimchen, die Inszenierung im Grünen unfreiwillig komisch? Ist es Niedlichkeit? Nostalgie? Dekoration? Ein Fetisch? Nein, dahinter steckt ein intensiver künstlerischer Prozess. Sylvie Hauptvogel transformiert, archiviert ein Fundstück und greift einen materiellen Teil der Welt auf, spürt im Banalen das Subtile auf, entdeckt im Alltag das Unalltägliche. Sie sucht für die „Hüllen” authentische, getragene Schürzen, Kleidungsstücke mit auffallenden Mustern und Gebrauchsspuren und einer zu imaginierenden Geschichte. Es sind Zeugnisse eines Frauenlebens, Sinnbild für die Wirtschaftswunderzeit, auch Reminiszenz an eine kindliche Erinnerung von Besuchen bei der Großmutter. Ihre künstlerische Strategie folgt sowohl einer Ästhetik des Ephemeren, das dem Textilen als vergängliches Material inhärent ist, als auch dem Erzählen als Erinnerungsbewegung. Der Körper ist abwesend, ist gestorben oder hat das Rollenbild der Schürze tragenden Hausfrau hinter sich gelassen, abgestreift, ausgezogen. Das Werk „Hüllen” ist auch eine Arbeit am kollektiven Gedächtnis. Denn bei der Betrachtung ist die Geschichte, ist das Leben, sind die Erfahrungswelt und emotionale Bindungen anwesend. Sylvie Hauptvogel setzt auf Narrativierung, ihre „Hüllen” als Object trouvé erzählen Geschichten von Frauen, ihren Schicksalen, Verflechtungen, den Verhältnissen, den Konventionen. Bei aller Surrealität, die die Inszenierung auf der grünen Rasenfläche auszeichnet, ist der Wirklichkeitsbezug augenfällig. Die Inszenierung der Objekte als leblose Hüllen wirkt im Zeichen des „performativen turn” nicht angriffslustig, sondern vielmehr spielerisch und entwickelt eine sinnliche Präsenz.

Die Materialität scheint durch das Epoxidharz. Das Sonnenlicht macht die Hüllen transparent. Die stoffliche Textur, die gewebten Fäden, die Stickerei und Applikationen sind sichtbar, robust und formstabil wirkt das Material. Das Harz konserviert die Form und macht die Objekte zu ästhetischen Körpern, die als Skulpturen im öffentlichen Raum Autonomie gewinnen. Die Reihe der „Hüllen” ließe sich um weitere Exemplare erweitern als Metaphern exemplarischer einzelner Schicksale und Leben. Nicht nur Spuren auf Kleidern thematisiert Sylvie Hauptvogel, zum Beispiel in ihren Materialdrucken, sondern auch die Kleidungsstücke selbst als Spur des Körpers: Die Taschen stehen leicht auf, als wollten gleich Hände hineingleiten. Die Bänder fallen locker, warten darauf, am Rücken gebunden zu werden, Falten folgen Körperlinien. Die Künstlerin untersucht mithin das Verhältnis von Kleidung und Körper, von Ab- und Anwesendem. Jedes Kleidungsstück unterliegt in Material und Schnitt der Mode, zeigt die soziale Zugehörigkeit an und ist ein wesentlicher geschlechtsspezifischer Indikator. Dem kann Kleidung, selbst abgelegte, am wenigsten entrinnen. Auch wenn mit dem veränderten Frauenbild und durch die Emanzipation die Schürze als spießiges „Heimchen am Herd” - Symbol von den 1960er Jahren an immer mehr in den Küchen als reiner Fleckenschutz „versteckt” worden ist, bleibt ein Bild, die Erinnerung, das Image, bleiben Hüllen, die stellvertretend für eine Generation Frau stehen.

Dr. Andrea Brockmann
Kunsthistorikerin und Leiterin des Kulturbüros der Stadt Schmallenberg

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