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Fotografie /
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2015, 16. Turmstipendium /
2017, Raum-Fahrt /
Text /
Text zu dem Katalog „nach der Fotografie” im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung in der Sparkasse Wuppertal von Klaus Küster, 2015


Im Begriffsfeld „Heimkultur”, also dort, wo sich jeder auszukennen glaubt, findet Sylvie Hauptvogel seit einigen Jahren das für sie immer naheliegende Thema des Humanen. In den letzten Jahren hat sie sich vorzugsweise mit Objekten und Rauminstallationen beschäftigt. Ich erinnere an die von ihr 2014 im „Wuppertaler Sommerloch” neben einer Wandinstallation gezeigte Performance mit selbstgefertigten Quallen. Oft sind es ganz alltägliche Dinge oder Begriffe die uns an emotionale Beziehungen innerhalb unserer Biografie denken lassen. Sie sind es, die von der Künstlerin in ihrer eigenen Biografie verortet, und so zum Antrieb werden, aus dem ein Werk entsteht. Mit ihrem Einfallsreichtum und der ihr eigenen, von Fluxus und Nostalgie inspirierten bildnerischen Sprache führt sie uns ironisierend und augenzwinkernd an Konstellationen von Alltagsgegenständen heran, die über die materialen und emotionalen Beziehungen zu ihrer eigenen Biografie und der ihrer Familie hinaus, auch den Betrachter zur Erinnerung an seine diesbezüglichen Beziehungen einlädt.

Ihre Installation „zartes Rosa” mit dem gleichnamigen Buchobjekt und seinen spannenden, gestickten Permutationsfolgen, mag bei sensibilisierten Betrachtern ein Wiedererkennen lebendiger Bilder aus der eigenen Vergangenheit auslösen. Meine Vorstellung vom - in diesem Fall - nicht korrigierbaren Sticken, also dem die Papierseite verletzenden Durchstechen mit einer Nadel, welche den zartrosafarbenen Faden führt, ließ mich an Gertrude Steins einfachen und doch so, dank der Dornen einer Rose, Achtung gebietenden Satz denken: „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.” Es ist die Blume, die für das im 18. Jh. aufgekommene Farbadjektiv „rosé” Patin gestanden hat. Erst im 20. Jh. führte das Bedürfnis nach einer Nuancierung dieses Farbtons zu der Übernahme vom französischen „rosé”, was unserem Begriff „zartrosa” entspricht. Wie groß mag noch in den 1970er Jahren die Freude einer Mutter gewesen sein, als ihr Töchterchen, aus der Schule kommend, erstmals eine farbige Nadelarbeit auf weißem Leinen, welches zuvor mit der Kopie eines Karo-Rasters versehen worden war, mit nach Hause brachte? Auch noch als junge Frau war den auf der Geometrie des quadratischen Hilfsrasters basierenden Handarbeiten nur schwer zu widerstehen, wenn es galt, einen extravaganten Buch-Schutzumschlag zu verzieren, wie es nicht nur in Sylvie Hauptvogels Familie üblich war. Dem ursprünglich als Fotoalbum konfektionierten Buch hat die Künstlerin die durchsichtigen Pergamin-Seiten entnommen, die trotz des von ihr ungeliebten, gleichwohl typischen und weithin bekannten Prägemotivs aus Spinngeweben, Spinnen und Fliegen, die Familienfotos schützen sollten.

Aus der „Nötigung” dieses „allzu durchsichtigen” Motivs hat sie eine Tugend gemacht: In die 15 quadratischen Papiere stickte sie mit grün- und rosafarbigem Garn kleine, fantasievolle Texturpartien so feinfühlig ins Grundmotiv, dass eine narrative Variationsfolge entstand, in der nun das farbige Garn mit den unfarbigen Spinnwebfäden einen versöhnlichen Kontakt aufgenommen hat, bei dem auch Spinnen und Fliegen nicht zu kurz kommen.

Vornehmlich Frauen kennen die „Strickliesel” genannten Vorrichtungen, mit denen sich schlauch- und kegelförmige Strickerzeugnisse aus Wolle und anderen Materialien fertigen lassen. Auf diese Weise schuf die Künstlerin verschiedene flexible Strickgebilde, die durch manuelles Verformen die organische Anmutung von Körperöffnungen und Ähnlichem annahmen. Vergrößerte Fotografien dieser Objekte wurden dann zu Vorlagen für die schwarz/rosa-farbigen Siebdrucke auf den (gebrauchten) Kopfkissenbezügen, welche wir nun als, „organic” genannte, Objekte in der Wandinstallation erleben. Das Verhältnis von Kunst und Leben hier neu zu entdecken, ist dank ihrer künstlerischen Qualität die eine Möglichkeit, eine andere ist es, der Fantasie hinsichtlich des weiteren Gebrauchs der Kissen keine Grenzen zu setzen.

Klaus Küster, Bildender Künstler

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